Potenzialausschöpfung – Möglichkeiten werden höchst unterschiedlich genutzt

Die Weiterbildungsteilnahme in Deutschland ist höchst ungleich verteilt. Selbst wenn die unterschiedlichen Ausgangssituationen der Kommunen, namentlich deren Sozial-, Wirtschafts- und Infrastrukturen, berücksichtigt werden, bleiben deutliche Unterschiede bestehen. So bleiben die Teilnahmequoten mitunter mehr als fast 80 Prozent hinter dem zurück, was auf Grundlage der strukturellen Voraussetzungen zu erwarten wäre. In manchen Kommunen werden die Erwartungen allerdings bei weitem übertroffen – teilweise um das Doppelte. Diese Differenzen zwischen genutzten und nicht genutzten Potenzialen fallen auf kommunaler Ebene noch deutlicher aus als bei der Betrachtung der Raumordnungsregionen im ersten Deutschen Weiterbildungsatlas.

Um die Weiterbildungssituation in allen 402 Kommunen besser vergleichen zu können, wurden bei der sogenannten Potenzialausschöpfung die kommunal spezifischen Rahmenbedingungen berücksichtigt. Das umfasst Merkmale der lokalen Sozial-, Wirtschafts- und Infrastrukturen, die sich dem Einfluss kommunaler Weiterbildungsakteure entziehen (wie z. B. die Branchenstruktur oder die verkehrliche Infrastruktur). Auch Wirtschaftsstärke, Bevölkerungszusammensetzung und Bildung fließen mit ein, da sie die Weiterbildungsbeteiligung beeinflussen. 30 Prozent der Teilnahmeunterschiede zwischen den Kommunen lassen sich durch alle berücksichtigten Rahmenbedingungen erklären. Auf Länderebene wird aus methodischen Gründen nur die Sozialstruktur der Länder herangezogen. Die Voraussetzungen für die statistisch zu erwartende Weiterbildungsteilnahme ändern sich mit jedem Jahr. Aus diesem Grund ist die Potenzialausschöpfung ein relatives Maß regionaler Ungleichheit, das sich an den jeweils aktuellen Einflussfaktoren für die Weiterbildungsteilnahme in Deutschland bemisst. Eine Potenzialausschöpfung von 100 Prozent bedeutet, dass die statistischen Erwartungen exakt getroffen werden. 

Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen besonders stark

Die höchsten Werte im Jahr 2013 wiesen Baden-Württemberg mit einer Potenzialausschöpfung von 115,6 Prozent, Hessen (113,9), Rheinland-Pfalz (110,1) und Thüringen (106,5) auf. Damit übertrafen sie die Erwartungen deutlich. Am meisten ungenutztes Potenzial zeigte sich in Berlin mit einer Ausschöpfung von 79,8 Prozent. Die Bundeshauptstadt blieb damit in der Weiterbildung ein Fünftel unter dem, was statistisch auf Grundlage der Sozialstruktur zu erwarten war. Ebenfalls reichlich Luft nach oben hatten Hamburg mit 84,4 Prozent, Nordrhein-Westfalen (90,9) und Brandenburg (91,7).

 Die vier Länder mit der höchsten Potenzialausschöpfung waren auch schon im Jahr 2012 die stärksten. Bei den Ländern mit der niedrigsten Potenzialausschöpfung blieben die Stadtstaaten Hamburg und Berlin gleichermaßen schwach. Sachsen und das Saarland, die 2012 noch geringe Potenzialausschöpfungen zeigten, legten indes deutlich zu. Weil nur längst nicht alle Unterschiede erklärt werden können zeigt sich: Bundesländer mit starker Teilnahmequote weisen tendenziell auch eine gute Potenzialausschöpfung auf. Länder mit niedriger Teilnahmequote haben tendenziell eine niedrigere Potenzialausschöpfung.


Einige Kommunen überragend, andere regelrecht abgehängt

 Betrachtet man im Schnitt der Jahre 2012 und 2013 die kommunale Ebene, wird die gesamte Schere deutlich: Vor allem der brandenburgische Kreis Elbe-Elster sticht mit einer Potenzialausschöpfung von 202,2 Prozent heraus. Zu erwarten gewesen wäre eine unterdurchschnittliche Weiterbildungsbeteiligung der Wohnbevölkerung von 9,5 Prozent – tatsächlich lag aber sie mehr als doppelt so hoch (19,1 Prozent). Auffällig ebenso der Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz mit einer Potenzialausschöpfung von 178 Prozent (21,4 Teilnahmequote statt erwarteter 12,1 Prozent) und auch Wunsiedel im Fichtelgebirge mit 171,7 Prozent (17,9 statt erwarteter 10,4 Prozent). 

Bundesweit schwächster Kreis bei der Potenzialausschöpfung ist Fürstenfeldbruck mit 22,4 Prozent. Dort war eine Weiterbildungsteilnahme von 15,2 Prozent zu erwarten – erreicht wurden 3,4 Prozent. Ebenfalls außergewöhnlich schwach der Landkreis Roth mit 33 Prozent Potenzialausschöpfung (4,2 statt erwarteter 12,6 Prozent Weiterbildungsteilnahme) sowie Straubing mit nur 35,1 Prozent Potenzialausschöpfung.


Große Unterschiede innerhalb der Länder

Innerhalb der Bundesländer hatte sich bereits bei den Teilnahmequoten eine hohe Spannweite abgezeichnet. Dieses heterogene Bild zeigt sich auch bei der Potenzialausschöpfung im Durchschnitt der Jahre 2012 und 2013. Baden-Württemberg z. B. hat die bundesweit stärkste Potenzialausschöpfung. Die Spannweite auf kommunaler Ebene reicht von starken 139,9 Prozent im Landkreis Calw und 139,7 im Landkreis Ludwigsburg bis hinunter zu 53,1 Prozent im Enzkreis und 45,6 in Pforzheim. Auf der einen Seite wurden die Erwartungen um deutlich mehr als ein Drittel übertroffen, auf der anderen Seite lagen die realen Werte um mehr als die Hälfte unter den Erwartungswerten.

Auch das strukturell starke Bayern zeigt hier große Differenzen: So bleiben die schwächsten Kommunen mit 22,5 Prozent (Fürstenfeldbruck), 27,4 Prozent (Lindau) und 32,1 Prozent (Straubing) weit hinter den Erwartungen zurück. Die stärksten Kommunen erreichen dagegen Potenzialausschöpfungen von 185,4 (Neumarkt), 172,1 (Main-Spessart) und 165,2 Prozent (Traunstein).

In anderen Fällen entsprechen die hohen oder niedrigen Teilnahmequoten wiederum genau den Erwartungen. Ein Beispiel hierfür ist Bonn, das mit einer hohen Teilnahmequote von 16,2 Prozent und einer Potenzialausschöpfung von 100,3 Prozent den Erwartungswert exakt trifft. Unter den schwächeren Kommunen erreicht Gelsenkirchen bei einer Teilnahme von nur 7,4 Prozent eine Potenzialausschöpfung von 99,3 Prozent. Im Vergleich hierzu sind die teils enormen positiven oder negativen Abweichungen in vielen deutschen Kommunen umso bemerkenswerter. Und umso wichtiger ist auch die Frage nach möglichen Einflussfaktoren jenseits der unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen oder infrastrukturellen Rahmenbedingungen. 

Zahlreiche zentrale Faktoren konnte bereits der vorangegangene Weiterbildungsatlas benennen. Demnach spielt u. a. die Angebotsseite der Weiterbildung eine entscheidende Rolle. Längsschnittanalysen auf Ebene der Raumordnungsregionen haben z. B. gezeigt, dass – ohne die konkrete Wirkungsrichtung benennen zu können – eine höhere Anzahl an Weiterbildungsangeboten in der Regel mit einer höheren Teilnahme einhergeht. Auch die Erreichbarkeit der Angebote vor Ort spielt eine wichtige Rolle: Weite Anfahrtswege sind eine Hürde. Es ist auch davon auszugehen, dass die – äußerst schwierig zu erfassende – Qualität der Weiterbildungsangebote einen maßgeblichen Einfluss hat. Darüber hinaus sind auch die Erfolgsfaktoren relevant, die gut von den Weiterbildungsakteuren vor Ort gestaltet werden können: die Vernetzung und Kooperation der Weiterbildungsakteure, die Transparenz der Angebote sowie die Unabhängigkeit in der Beratung. Diese Erfolgsfaktoren aus dem ersten Weiterbildungsatlas stehen auch bei erneut durchgeführten qualitativen Fallstudien im Fokus. Gerade weil die Unterschiede bei der Potenzialausschöpfung auf kommunaler Ebene so immens sind, scheinen diese Faktoren entscheidend zu sein.


Studie Deutscher Weiterbildungsatlas

Die Broschüre des Deutschen Weiterbildungsatlas bietet Ihnen alle zentralen Ergebnisse und Zusammenhänge in kompakter Form. Neben den Berichten mit der Einordnung der Ergebnisse, finden Sie hier alle wichtigen Karten und Grafiken. Darüber hinaus finden Sie hier auch die Kurzfassungen der Fallstudien sowie Ausführungen zur Methodik.
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